Da der Löwe im Straßenbild so zahlreich zu entdecken ist, bedarf es bei all dem Foto- und Recherchematerial eines Teils 2 der "Leipziger Löwen".
Den ersten Teil, wenn er von Interesse ist und noch nicht gelesen wurde, findet man hier:
Und wir machen gleich weiter mit einem ganz besonderen Beispiel für die sprichwörtliche Entdeckung leibhaftiger Wappentiere in den Straßen Leipzigs...
Die Leipziger Löwenjagd
In der Leipziger Historie gibt es im Bezug auf Löwen in der Stadt auch denkwürdige Ereignisse, die jedoch aus heutiger Sicht fast schon absonderlich anmuten. Insbesondere der "marketingtechnische Aspekt", so würde man es sicher in der heutigen Zeit formulieren, scheint ideenreich aber teils sonderbar. So geschehen bei der sogenannten "Leipziger Löwenjagd". Es begab sich im Jahre 1913, gerade als zur Einweihung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals viel Publikum und Prominenz in der Stadt weilte. Aus dem Bestand eines Zirkus, der während der Feierlichkeiten in der Stadt gastiert hatte entflohen 8 stattliche Raubkatzen, die dann in Leipzigs Straßen für Aufsehen sorgten und zur sog. Löwenjagd führten.
Die ausführliche Version der Ereignisse: "„Anlässlich der Feierlichkeiten zur Einweihung des Völkerschlachtdenkmals am hundertsten Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig hatte der Zirkus Barum mehrere Tage in Leipzig gastiert. Das Zelt war auf dem Messplatz an den Frankfurter Wiesen aufgestellt, wo seit 1907 auch die Leipziger Kleinmesse (♁Karte) stattfand. Heute befindet sich an dieser Stelle die Arena Leipzig.
Gleich nach der Abendvorstellung des 19. Oktober wurden die Tiere per Pferdewagen zur Verladung auf den Güterbahnhof gebracht. Die Fahrt ging über die Auenstraße (heute Hinrichsenstraße) in Richtung Berliner Straße, um zum Preußischen Freiladebahnhof nördlich der Roscherstraße zu gelangen. Die Kutscher des Löwen- und des Bärenwagens stellten ihre Fuhrwerke unbeaufsichtigt vor der Bierkneipe Graupeter in der Berliner Straße 42 ab und besuchten diese. Die Pferde des hinteren Wagens mit den Bären wurden unruhig und durchstießen mit der Wagendeichsel die Rückwand des Löwenwagens, worauf acht der zehn Löwen ins Freie entkamen, weil – es war neblig – auch noch eine Straßenbahn die nun auf die Gleise geratenen Fuhrwerke rammte.
Der Streifenpolizist Bruno Weigel und weitere herbeigerufene Polizisten, vornehmlich aus der 8. Polizeiwache in der Yorckstraße (jetzt Erich-Weinert-Straße), eröffneten das Feuer auf die Tiere und töteten in kurzer Zeit fünf von ihnen. Der Zirkusdirektor Arthur Kreiser und der Direktor des Leipziger Zoos Johannes Gebbing und sein Oberwärter Hermann Fischer, die mit weiteren Mitarbeitern inzwischen eingetroffen waren, beschlossen, die drei verbliebenen Löwen, die sich vor der Schießerei zu retten versucht hatten, lebend einzufangen."..."Mit einer Kastenfalle konnten Polly im Hotel sowie ein weiterer Löwe in einem Hof in der Berliner Straße problemlos eingefangen werden. Auf den letzten, schon von den Fängern eingekreisten Löwen – es war Abdul – warf einer der Umstehenden einen Stein, sodass dieser zu einer Bewegung ansetzte, worauf die Polizei wieder das Feuer eröffnete und ihn erschoss. Bei der Obduktion Abduls wurden 165 Treffer gezählt.
Nach Beendigung der Hatz präsentierte man die erlegten Großkatzen mit den erfolgreichen Jägern in der 8ten Polizeiwache. Natürlich machte man davon ein Foto und später gingen auch Postkarten in den Druck:

Dann ab mit den toten Löwen in den Zoo, sozusagen als "Ausstellungsstücke" eine ganze Woche lang und natürlich für weitere Erinnerungsfotos und Postkartenmotive.
"Die sechs getöteten Löwen waren eine Woche lang im Wirtschaftshof des Leipziger Zoos zu besichtigen. In einem Gerichtsprozess wurde einer der Kutscher zu fünf Tagen Haft oder 25 Mark Geldstrafe verurteilt, was etwa einem Wochenlohn entsprach, und der Zirkusdirektor Kreiser zu zehn Tagen oder 100 Mark Geldstrafe wegen „Unterlassung erforderlicher Vorsichtsmaßregeln zur Verhütung von Beschädigungen bei der Haltung bösartiger oder wilder Tiere“ (§ 367 Ziffer 11 StGB). Härter traf ihn der Verlust der sechs Löwen im Wert von 30.000 Mark."
Eines der bekanntesten Bilddokumente von der Leipziger Löwenjagd ist diese alte Ansichtskarte mit erklärendem Text auf der Vorderseite. Zu sehen sind die sechs erschossenen Großkatzen und dahinter die Raubtierpflegern (rechts Hermann Fischer), die zwei Löwen einfingen und ihnen so das Leben retteten.

Text auf der Kartenrückseite „Am 19. Okt. 1913 Nachts gegen 12 Uhr entkamen aus einem Transportwagen des Zirkus Barum in der Blücherstraße in Leipzig 8 Löwen. Einer wurde von den hier abgebildeten Wärtern in einem Hotel in der Blücherstraße mittels Kistenfalle eingefangen. Ein 2. wurde in einem Hofe der Berliner Straße gefangen, während die übrigen 6 Bestien durch Revolverschüsse von Lpzg. Schutzleuten getötet wurden.“ Rechts ist der Raubtierpfleger Hermann Fischer abgebildet, er hat im Leipziger Zoo eine Vielzahl von Löwen aufgzogen.
Der "Löwenstein"

Es soll ihn sogar immer noch geben, den kleinen Stein, der als Wurfgeschoß bei der Leipziger Löwenjagd eingesetzt worden sein soll. Ob es sich jemals um den tatsächlichen Stein aus diesen Tagen gehandelt hat und er noch immer ein original Zeitzeugnis der Ereignisse ist...Man weiß es nicht ;-)
Dazu jedenfalls gibt es eine recht glaubwürdige Geschichte:
Foto und Autorin Text Silvia Drescher
"Bei der Jagd auf den Löwen »Abdul« warf ein Passant einen Stein. Folglich setzte sich das umstellte Tier in Bewegung, rannte in Richtung der schussbereiten Polizisten und wurde schließlich durch 165 Pistolentreffer getötet.
Der Passant nahm sich den »Löwenstein« als Andenken an seine Beteiligung an der Löwenjagd mit und bewahrte ihn auf.
Der Passant kannte meinen Uropa, denn beide waren Studienfreunde. Sie hatten zusammen die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals miterlebt und waren an jenem 19. Oktober 1913 gemeinsam im Zirkus Barum gewesen. Auf ihrem Weg nach Hause wurden sie in die Löwenjagd verwickelt und beteiligten sich an der Jagd.
Am Ende der gemeinsamen Studienzeit in Leipzig schenkte der Passant meinem Uropa zum Abschied den Löwenstein. Dieser nahm ihn bei seinem Umzug mit nach Pausa, denn dort lebten er und seine Familie nach seinem Studium. Seine Tochter (meine Oma) hörte staunend zu, wenn er die Geschichte des Löwensteins erzählte. Im Lauf der Jahre geriet der Stein in Vergessenheit. Keiner wusste mehr, wo er sich befindet."
"Der Fund. An einem verregneten Samstagvormittag suchte ich auf unserem Dachboden nach einem Buch. Als ich in einem alten Schrank nach sah, entdeckte ich einen Stein. Ich dachte mir nichts dabei und ließ ihn, nachdem ich das Buch gefunden hatte, auf dem Schrank liegen. Am Nachmittag, als meine Oma gerade die Wäsche aufhängte, hörte ich auf einmal einen Freudenschrei. Schnell eilte ich zu ihr. Sie rief immer wieder: »Der Löwenstein!« Aufgeregt erzählte sie mir die Geschichte des Steins, wie er bei der Leipziger Löwenjagd verwendet wurde, wie ihn der Passant meinem Uropa geschenkt hatte und dass ihr Vater ihr immer diese Geschichte erzählt hatte.
Die Geschichte des Löwensteins erzählt mir meine Oma seitdem immer wieder, wenn wir zusammen auf dem Dachboden stöbern oder wenn die Worte »Völkerschlacht« oder »Völkerschlachtdenkmal« in einem Gespräch fallen. Für sie sind die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals und die Leipziger Löwenjagd untrennbar miteinander verbunden und für mich seit meinem Fund auch."
Wie oben schon bei der "Zurschaustellung" der erlegten Löwen erwähnt, reagierten die Postkartenverlage als erste mit Fotopostkarten und lustigen Karikaturen auf die Leipziger Löwenjagd am 19. Oktober 1913. So zum Beispiel mit diesem gezeichneten Motiv:

Löwen als Werbemittel der etwas anderen Art

Eine der Löwen, die die wilde Jagd der Polizei überlebte war die Löwin Polly, die sich in das nahegelegene Hotel Blücher in der Blücherstraße 20 (jetzt Kurt-Schumacher-Straße) rettete. Dort sperrte man sie vorerst in einer Toilette ein, bis es den Tierpflegern gelang sie lebend zu fangen. Ein Geschehen, welches das Hotel später zu nutzen wusste und es werbetechnisch auf hauseigenen Postkarten verwendete.

Neben dem Hotel Blücher nutzten auch andere Institutionen der Stadt, insbesondere im Fremdenverkehr und in der Gastronomie den Vorfall mit dem geflüchteten Vertretern des Leipziger Wappentiers für ihre Werbung. Im bekannten "Auerbachs Keller" wartete man sogar mit einer speziellen "Löwen-Speisen-Karte" auf. Obwohl alle mit dem Zusatz "Löwen.." versehenen Speisenangebote reine Phantasiebezeichnungen waren (echtes Löwenfleisch wurde nicht verarbeitet), war es sicherlich ein damals Aufsehen erregender werbetechnischer Schachzug. Viele Wirte und Hoteliers nutzten die "Leipziger Löwenjagd" für ihre hauseigene Werbung und Besucherakquise. Neben "Auerbachs Keller" so auch "Aeckerleins Keller", ein Weinlokal am Markt 11 in dem man in der Folgezeit der "Großen Löwenjagd" musikalisch-literarisches Feinschmeckeressen veranstaltete.
Selbst der in Chemnitz ansässige Strumpffabrikant Wilhelm Dohmen wollte mit einer doch recht eigenwilligen "Verknüpfung" der Ereignisse bei der "Leipziger Löwenjagd" mit seinen Wanderluststrumpffabrikaten seine Produkte bewerben. Zu sehen auf 6x5 cm großen Reklamemarken die er 1913 in Umlauf brachte. Diese alten Reklame- oder auch Ereignismarken (zwischen 1900 und 1918) wurden seinerzeit für die Werbung benutzt und fleißig gesammelt.

Bei Löwenjagden sind Wanderluststrümpfe unentbehrlich.

Strapazier-Strümpfe bewähren sich bei Löwenjagden vorzüglich.

Der Löw' ist los, Wanderluststrümpfe sind tadellos.

Wanderlust-Strümpfe hätten bei Löwenjagden in Gebrauch sein sollen

Schulstrümpfe machen bei jeder Gelegenheit gute Schule.

Fragen Sie nach Essinddie-Söckchen im nächsten Wollwaren-Geschäft!
Anmerkung: 1920"...kommen zirka 70 % des amerikanischen Marktes und schätzungsweise 80% des Weltmarktes an Strumpfwaren aus den sächsischen Strumpffabriken im Erzgebirge und dem Chemnitzer Vorland." Mehr dazu gibt es hier zu lesen
Eine Löwenstatue wandert...
Gemeint ist die Statue eines liegenden Löwen, die einst das Kriegerdenkmal im alten Augusteum schmückte mit ihrem wechselvollem Standort. Das auch als "Löwendenkmal der Universität Leipzig" bezeichnete Denkmal war ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen 1396 Studenten und Hochschullehrer der Universität Leipzig.

"Die feierliche Enthüllung des von August Gaul (1869–1921) gestalteten und von Max Esser (1885–1945) und Ludwig Nick (1873–1936) vollendeten Denkmals erfolgte am 31. Oktober 1924 in der Wandelhalle im Augusteum der Universität Leipzig. Gestiftet wurde es von dem Fabrikanten und Kommerzienrat Heinrich Toelle aus Blauenthal im Erzgebirge. Es zeigt wie viele derartiger Denkmäler die gedankliche Nähe der Studenten wie auch vieler Professoren zum untergegangenen Kaiserreich und Rechtfertigung des I. Weltkriegs als angeblichem "Verteidigungskrieg". Diese symbolisieren bzw. heroisieren Werte wie Stärke, Wehrhaftigkeit, Treue zum Vaterland und Opferbereitschaft. Dieser Löwe ist als Grablöwe in seiner Funktion zu charakterisieren."

Als man 1968 die Paulinerkirche und die alten Geübte der Leipziger Universität, so auch das Augusteum für die Umsetzung sozialistischer Architekturpläne sprengte wurde der Sockel aus Sandstein, der wie ein Sarg gestaltet war, vernichtet. Der liegende Löwe aus Kirchheimer Muschelkalkstein jedoch blieb erhalten. In den 70er Jahren (bis 1993) schmückte er, Wind und Wetter schutzlos ausgesetzt, einen Treppenaufgang auf dem Sachsenplatz. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie dieser Löwe von Kindern (auch von mir) gern angenommen Klettergerät bei einem Innenstadtbesuch war. Einen Hinweis auf den ursprünglichen Standort suchte man natürlich damals vergeblich.


Dann zog der Löwe weiter, erst ins Treppenhaus des Rektoratsgebäudes und 2014 hat er seinen definitiven Aufstellungsort gefunden. Im Neuen Augusteum. An fast gleicher stelle wie das ursprüngliche "Löwendenkmal der Universität Leipzig" im alten Augusteum. Der Sockel wurde nachempfunden. Er trägt (bisher) keine Inschriften. Leider fehlt auch ein Hinweis auf das ursprüngliche Denkmal. Der Hintergrund ist jedoch mit einer schönen Ansicht der alten Bausubstanz gestaltet. Der Zustand des Sandsteinlöwen schlecht ist. Die Verwitterung seines "Freiluftaufenthaltes" auf dem Sachsenplatz sind augenscheinlich.

Bei diesem Löwen am Haus Menckestraße 24 in Gohlis stellt sich dem Betrachter die Frage: Kann man Löwen eigentlich dressieren, so nach dem Motto, hol das Stöckchen, den Ring? ;-)
...sooo. Mit dieser (nicht ganz ernst gemeinten) Fragestellung beende ich die Jagd nach Löwen in Leipzig.
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