Frau Meyer bitte zum Diktat. …. Eine fotografische Zeitreise in die Vergangenheit.

Als man noch nicht auf leiser Tastatur die Schriftstücke in digitaler Form erfasste, sondern das Geklapper und das Bing der Schreibmaschinen durch die Büroetagen hallte. Ein Zeitzeuge aus längst vergangenen Tagen. Aus einer Epoche als man sich bei den Wanderer Werken in Chemnitz den Markgegebenheiten anpassen mußte und von der Fahrrad- über die Motorradfabrikation 1904 zum Bau dieser schweren, schwarz lackierten Schreibhilfsmittel überging. Einblicke in ein solches Exemplar. Feinste Mechanik. Robust und gewichtig und dennoch irgendwie anmutig und filigran…

Ein solches Meisterwerk der Bürotechnik hatten meine Großeltern nie, denke ich. Mütterlicherseits würde ich es mit Gewissheit verneinen, bei meinen Großeltern väterlicherseits…. Hm, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Mein Opa, ich bin ihm nur einmal, max. zweimal begegnet, lebte von meiner Oma getrennt in Berlin. Darüber sprach man nicht. In Ihre Wohnung in Leipzig allerdings hätte solch ein herrschaftliches Schreibgerät gepasst. 

 

Man wohne in einem Mietshaus, erbaut um 1900. Im ersten Stock natürlich. Wenn schon Mietshaus, dann erster Stock! Nicht oben unterm Dach, da wohnten die Dienstmädchen. Auch nicht unten im Parterre über den Mülltonnen. Die Wohnung in dem Haus für hochherrschaftliche Bewohner war riesig, über 100 Quadratmeter. Ebenso die Räume, sehr groß und mit beeindruckender Deckenhöhe, mit großen Flügeltüren zum Esszimmer, einem Balkon zur Straßenseite und einer Glasveranda zur Hofseite. Die unterste Treppe war eine massive Steinausführung, die nach dem Erdgeschoss in eine dunkle Holzkonstruktion überging. Einst schmückte ein Teppich die Steinstufen. Die Messingösen für die Haltestangen waren an den Stufen noch vorhanden. Herausgerissen haben den wohl die "Russen" als Heizmaterial, als Offiziere der Weltkriegssieger das Haus teilweise in Beschlag nahmen. Sie sollen auch Hühner in der Glasveranda gehalten haben. Die Militärischen Führungskräfte, teils aus den entferntesten Gegenden Russlands, sollen Wasserhähne einfach in der Wohnung in die Wand geschraubt und sich gewundert haben, das da dann kein Wasser heraus floss. Sagte man mir. Aber nicht nur die Oma konnte so manch Geschichte erzählen, auch die Wohnung selbst. Von besagter Glasveranda ging ein schmaler Übergang zur Küche. Im dortigen Gelände befand sich eine Blechplatte. Warum? Ich fragte meinen Vater. „Siehst Du dort das senkrechte Rohr an der vorgesetzten Treppenhauswand? Das war ein Müllschluckersystem!“ Von jeder Wohneinheit ging ein schräges Fallrohr in das Senkrechte. Unten schob der Hausmeister eine Mülltonne darunter und wechselte sie, wenn sie von oben gefüllt war. Der „Einfüllstutzen“ begann an eben dieser später eingefügten Platte. Ein solches System kurz nach der Jahrhundertwende. Alle Achtung! Ebenfalls noch nachweislich für mich sichtbar war eine andere Kuriosität. Da man in der zeit der Erbauung um die Jahrhundertwende noch nicht genau wusste, was sich zur Beleuchtung durchsetzte, Gas oder Strom, verbaute man eben Leitungen für beide Varianten. So war an den Zimmerdecken ein Rohrendstück für Gas zu sehen und störte irgendwie die Optik der teils sehr schönen Stuckarbeiten. Wieder nur aus Erzählungen kenne ich ein „Dienstmädchenrufsystem“, ein Hebelmechanismus neben der großen doppelflügeligen Eingangstür. Wurde der dortige Hebel betätigt erklang in den Dienstmädchenwohnungen unterm Dach eine Signalglöckchen und am anderen Ende des Systems zeigte ein Anzeiger der "Gegenstelle" die jeweilige Wohnungsnummer. So wußte das Dienstmädchen, wer gerade einen Wunsch hatte und konnte hinuntereilen. Damals innovativ erscheint es heute absonderlich.

 

Ich sag doch: Eine damals sicher teure Schreibmaschine hätte hier sicherlich hergepasst. Vielleicht hatte mein Ururgrossvater eine. Er, gebürtig 1876  in Süd-Katharinenstadt, einer Deutschen Kolonie an der Wolga, war von den Erzählungen her Handelsvertreter für Fischkonserven. Warum und wie er oder sein Sohn nach Leipzig kam, kann ich nicht sagen, da bin ich noch dran. Sogesehen fließt in meinen Adern ein wenig russisches Blut, krass! So genug geschrieben….Klapper, klapper, bing, ratsch, klapper, klapper, bing, ra….…..Mist Farbband alle.

 

Objektbestand aus meinem „Kaleidoskop der Erinnerungen“