Erinnerungsstücke auf Karton

Aus einer Zeit als man noch mit schweren Kameras hantierte, ein Portraitfoto zum gutem Ton gehörte und selbst die Träger der Fotoabzüge aus Pappe aussahen wie kleine Kunstwerke. Meist rückseitige in schmuckvoller Schrift vermerkte, nicht ganz ohne Eigennutz, der Fotograf werbewirksam seine Kontaktdaten und/oder pries seine Leistungen an. Das waren keine Schnappschüsse, das waren „Gemälde für den kleinen Mann“. 

 

 Für diese fotografischen Erinnerungsstücke schmiss man sich mit dem Besten was Kleiderschrank und Schmuckschatulle zu bieten hatte in Schale. Teils sogar sehr aufwendig, fertigte der Meister seines Fachs damals Fotocollagen an. Zu sehen ist dann ein im Krieg getrenntes Paar, welches scheinbar sehnsuchtsvoll in Gedanken versunken zueinander findet. Fotos mit geschnittenem Büttenrand wurden dann sorgsam in Fotoalben geklebt. Feinstes Pergamentpapier zwischen den Seiten sorgte dafür, das sich nicht die gezackten Ränder der Fotos beim Umblättern verhakten und die auf Papier festgehaltenen Erinnerungen beschädigt wurden. Manche der Fotos sind vergilbt, manche fast gänzlich zur Unkenntlichkeit verblasst, doch sie bleiben kleine Fenster in eine längst vergangene Zeit. Solche Fotos sind immer auch Ausdruck von Mode, damaligen Geschmack, Zeitgeist und Empfinden für Schönes, für schöne Erinnerungsstücke. So wurden Portraits und Familienfotos liebevoll in schmuckvolle Rahmen und/oder Bilderhalter mit Passepartout gebracht und schmückten oft die Wand der guten Stube.

Die damals meist in einem Studio aufgenommen Portrait- und Familienfotos bestehen meist von hoher Qualität und zeigen die Menschen in bester Sonntagskleidung. Requisiten unterstreichen den gewollt gediegenen Eindruck der fotografierten Szene. Meist kommt der Besuch beim Fotografen in Bezug auf Ernsthaftigkeit einem Kirchenbesuch gleich. Die Mimik und Gestik wirkt manchmal unnatürlich gestellt. Meist ist es der Gesichtsausdruck der Kinder, der sich nur bedingt beeinflussen lässt und zeugt dann von sichtbarer Unlust auf diesen Fototermin. Aber es gab auch Fotos, die die Menschen in vermeintlichen Alltagsszenen zeigten. Wie hier diese Gruppe, bei der die beiden Frauen stolz ihr Fahrrad präsentieren. Dadrauf war man damals noch richtig stolz. 

Das große ovale Foto vom Opa meiner Frau, nebst Bruder und Mutter ziert nun die Eingangstür zu meiner "Oldiethek" im hauseigenen Keller. Was mag das zu der Entstehungszeit mal gekostet haben und war es je in einem ovalen Rahmen, der später vielleicht kaputt gegangen ist. Zwei Kriege hat es jedenfalls überstanden und hat nun hier seinen Platz gefunden. 

Leider verschwimmen mit der Zeit nicht nur die Konturen auf den Fotos, sondern auch die Erinnerungen an die abgebildeten Personen. Nur wenige haben dann noch das Wissen, wer das mal war und gegebenenfalls sogar wann die Aufnahme entstand. Meist verschwinden Fotos, wenn nicht sorgsam in ein Album eingeklebt in irgendwelchen Schuhkartons oder alten Zigarrenkisten. Dann wird es später für den Finder schwer diese zuzuordnen. Es sei denn, es hat Jemand schon ein paar erklärende Notizen auf den Fotos hinterlassen, wie hier Oma Hanny. Das ist später ein unbezahlbarer Informationsgewinn. 

 

Kleine Episode am Rande: Ich habe mich dann manchmal gewundert, wie viele Vetter, also im neuen Sprachgebrauch Cousins (Sohn von Onkel oder Tante) Oma hatte. Bis ich bei Vetter Lina stutzig wurde. Es stellte sich heraus, das der Familienname Vetter war und, wie üblich im Erzgebirge die Namensbezeichnung Nachname gefolgt vom Vornamen erfolgte. Also war Vetter Franz nicht Ihr Cousin, sondern der Franz Vetter.... :-)

Es ist schon bemerkenswert, das es von der Verwandtschaft meiner Frau sehr zahlreiche Fotos gibt, eingeklebt in Alben als auch lose in besagter Zigarrenkiste, jedoch von meiner Verwandtschaft, insbesondere väterlicherseits, nur eine Handvoll Abzüge existieren. Sicher ist das nicht nur auf die Einstellung zu allem Alten zurückzuführen, sondern ist auch auf das generelle Verhältnis meines Vaters zu seinem Vater und Mutter zurückzuführen. Zudem gab zum Erbzeitpunkt unter den Geschwistern mächtig Streit, der Klassiker. So das Fotos für mich ohne Zugriff verschwanden, wenn nicht gar vernichtet wurden. Leider.

 

Einige der wenigen Fotos meiner familiären Vergangenheit. Sie zeigen Oma Irmchen (Irma) nebst Mann Gustav, meinen Opa väterlicherseits, an den ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann (Er war ja zu meinen Kindertagen auch getrennt von Oma lebend wohnhaft in Berlin) vor der herrschaftlichen Wohnung im Leipziger Süden. Dazu ein Portrait von Mutter und Sohn, meinem Vater Karlheinz in klein und ein Solo-Portrait meines Vaters. Man wer hat dir denn damals so die Haare geschnitten...

Dank dem Opa meiner Frau, von "Vielfotograf Kurt" habe ich sogar noch eine Negativhülle der Central-Drogerie Sayda vorliegen. In der dortigen Photohandlung, laut Werbeaufdruck auch Drogen-, Chemikalien-, Farben-, Colonialwarenhandlung und Shell-Tankstelle, hatte er seine Fotos entwickeln lassen. Sogar der passende Abholschein liegt noch bei. "Die Arbeiten werden nur gegen Vorzeigen der Einlieferung-Nr. ausgeliefert". Scheint er gemacht zu haben. Zu einem der Negative habe ich sogar den passenden Fotoabzug gefunden. Ein Foto seiner Tochter in sehenswerter "Kinderkutsche".

Die Kameratechnik entwickelte sich weiter und so wurde später auch für den "Normalbürger" eine Kamera erschwinglich und bedienbar. Sicher, diese Urlaubs- und Erinnerungsfotos in "Schnappschussqualität" können mit  den  Portrait- und Familienfotos  aus dem Studio in der Qualität nicht mithalten. Aber die Fotografie erreichte eine andere Stufe. Beherrschbar für (fast) Jedermann zum Visualisieren schöner Ereignisse und Erinnerungen. Damals, meist in quadratischer Form, entstanden die kleinen, zahllosen Fotoabzüge. Büttenrand war damals ein Muß! Zugegeben ich hatte auch mal so eine Hand-Fotoschere. Habe diese aber irgendwann mal entsorgt, soviel zur Mode und Abschied von scheinbar "Unmodernen". 

 

Die Fotos wurden dann liebevoll mittels Fotoecken ins Album geklebt. Das Aufstecken der Fotoecken oder das Einstecken der Fotos mit dem gezacktem Rand in eben diese war sicherlich keine Vergnügen. Teils erhielten Sie dann noch eine handschriftliche Beschriftung oder einen kurzen erklärenden Text, manchmal auch eine kunstvolle Zusatzdeko auf den Albenseiten. Es gab Sie in groß, lederbezogen und mit besagten Seidenpapier-Zwischenblättern zum Schutz der Fotos oder auch im Handtaschenformat mit aufwendigen Stroh?-Intarsien. Nachteil bei den Fotoalben: Wurden einzelne Fotos aus den Ecken gelöst und weitergegeben blieben leider nicht selten auch leere Flecken....

Auf Fotos zeigte man gern wo man war (Urlaubserinnerungen), wie man zu feiern wusste (Feierfotos) und/oder was man hatte oder einem besonders wichtig und wertvoll war (Liebesfotos oder Statusfotos). Das ist heute so und war schon damals so.

 

Nach dem Krieg war scheinbar das eigene Fahrrad immer noch ein Utensil zur Fortbewegung, welches man stolz und gern zeigte, wie hier durch meine Mutti Helga. Vater posiert in einer Portraitaufnahme der "modernen Art" mit seinem Berliner Roller.  Natürlich auch auf diesem Gefährt stilvoll gekleidet mit weißen Hemd und Schlips. Zusammen mit seinem Freund Klaus hatten Sie sich einen solchen Berliner erarbeitet und konnten nun bei den Mädels mächtig Eindruck schinden. Damals. Heute würde man wahrscheinlich mit einer solchen, vergleichbaren "Straßenschnecke" bei den jungen weiblichen Zielpersonen nur ein müdes Lächeln erzeugen.  Aber damals  war's halt anders. Sie starteten gar mit  "Ihren Mädels" eine Fahrt auf dem Roller an die Ostsee. Wahrscheinlich zeitlich gefühlt mehr als eine Fernreise und ein zweifelhaftes Vergnügen. PS.: Am dortigen Strand waren Sie dann auch in feinem Zwirn, Anzug, weißem Hemd und Krawatte präsent. 

 

Ich kenne diesen Berliner Roller noch, sah ihn beim Kohlenholen im Keller. Nach einem Getriebeschaden hatten die Freunde den Straßenflitzer meines Vaters zerlegt und im Keller zwischengelagert. Wo er, abgedeckt mit einer grauen Plane, Jahr um Jahr auf die geplante Restaurierung und Wiederbelebung wartete. Jahrelang vergebens, bis Vater die Teile irgendwann mal entsorgte und an dessen Stelle im Keller ein Regal für Trabant Ersatzteile platziert wurde. 

Augenscheinlich Mutter und Tochter. Meine Oma Gertrud und meine Mutter Helga in jungen Jahren. 

Das Foto mittig oben zeigt Gertrud wie ich Sie in meinen Erinnerungen habe. Eine taffe Frau, von kleiner Statur aber mit großem Herzen. Mutter war Ihr bei Zeiten über den Kopf gewachsen, das große Herz hat Sie geerbt. 

Das kleine Bild mittig unten zeigt Helga, Gertrud und ihren Mann Paul in geselliger Runde. Wie ich finde, sind auf dem großen Bild von Oma ihr irgendwie die Entbehrungen des Krieges anzusehen. Vielleicht ist es Anfang der 1930er entstanden, bevor Sie im Juli 1934 mit Paul vor dem Traualtar getreten ist. Auch das kleine Foto von Kriegsheimkehrer Paul zeigt augenscheinlich die Folgen der Entbehrungen.

Später wurde Opa Paul wieder freundlicher. Ob er je all das was er im Krieg erlebt hatte verarbeiten konnte, oder wie Viele einfach nur verdrängte, weiß ich nicht. Er starb im Juni 1970, da war ich noch keine zwei Jahre alt. Man sagt, ich hätte ihm immer, wenn er nach Hause kam und ich bei Oma war die Hausschuh gebracht. Er hat mich dann stolz auf seinen Schoß genommen. Alle sagten er war ein gutmütiger und liebevoller Mensch. Leider konnte er dies, als Opa nicht länger für mich sein.

 

Zugegeben war ich in meiner Kindheit und Jugend eher etwas schmal und fast schon schmächtiger Natur. Das könnte ich von Opa Paul geerbt haben. Denn auch er war nicht der stämmigste unter den Männern. Umso erstaunter war ich, als ich erfuhr, das er sogar Gewichtheber war. Wie das Foto aus den ca 1950er Jahren zeigt. Zwar nur im Fliegengewicht, aber immerhin!  Auf dem Foto ist er schnell an den schmalsten Beinen der Truppe der Gewichtestemmer (Dritter von links) zu erkennen :-)  Also war ich mir sicher: Stärke zeigt sich nicht zwingend in einer kräftigen Statur und massigem Körperbau. 

 

35 Jahre lang war er in der Sektion Gewichtheben der BSG Turbine Leipzig aktiver Sportler, Sektionsleiter, Bezirkskampfrichterobmann (Formulierung aus dem Nachruf der BSG; was für ein Titel) und internationaler Kampfrichter. Er war stolzer Träger der goldenen Ehrenadel des DTSB. Ich glaube die habe ich sogar noch....